LEBENSGESCHICHTEN und ANSICHTEN
eines Christen

Der Preis der Veränderung

 

     

(Eine wahre Geschichte aus dem Jahre 1988)

 

 

 

Die ersten drei Jahre nach meiner Bekehrung zum christlichen Glauben waren gut gelaufen. Ich hatte gerade mein erstes Schuljahr auf der Bibelschule in Erzhausen/Hessen hinter mir und mich für zwei Wochen bei Hubert, einem christlichen Freund, in St.Tönis einquartiert. Danach würde es für dreieinhalb Monate nach Bremen in ein Gemeindepraktikum gehen. 

Wie früher üblich ging es am Samstagabend nach Düsseldorf ins Jesushaus. Ein bekannter Prediger war angekündigt, und ich wollte auch sonst einige alte Bekannte wiedertreffen. Aber ich ahnte nicht, dass es für mich ein bedeutsamer Abend werden sollte.

Das Thema der Predigt habe ich vergessen, aber irgendwann sprach der Prediger über innere Veränderung. Das Gott das Innere eines Menschen grundlegend verändern kann: "Glaubt ihr das?" fragte er von der Kanzel ins Publikum. Ein vielfaches "Hallelujah", "Preis den Herrn" und "Amen!" schallte ihm entgegen. das übliche Echo auf solche rhetorischen fragen.

"Wer möchte eine solche Veränderung erleben? Hebt doch bitte mal die Hand!" Überall im Saal wurden Hände gehoben. Wieder einige "Hallelujahs" und "Gott ist groß" Rufe wurden hörbar. Der Prediger nickte und dann schaute lange schweigend ins ruhiger werdende Publikum. Dann sagte er: "Seid ihr denn auch bereit, den Preis für eine solche Veränderung zu bezahlen?"

Nichts war aus dem Publikum zu hören. Eine Stecknadel hätte sich jetzt gut bemerkbar machen können. Der Prediger nickte wieder und sagte dann ganz langsam und bedächtig: "Danke, liebe Brüder und Schwestern, dass ihr so ehrlich seid!"  

                                 *
In den darauf folgenden Tagen hielt ich mich meist in Huberts Haus auf. Die acht Monate Bibelschule waren recht intensiv gewesen und ich genoss die freien Tage ohne Unterricht, Veranstaltungen, Lernen und Dreibettzimmer. Ausschlafen, Nichtstun, anregende Gespräche mit Hubert, unangestrengtes Lesen oder Dösen im Gartenstuhl waren mein Tagesprogramm.

Eines Vormittags jedoch, Hubert war beruflich unterwegs, setzte ich mich in den Garten und nahm mir Zeit fürs Gebet und die Bibel. Und als ich irgendwann so still dasaß und nachdachte, fiel mir auf einmal wieder die Predigt aus dem Jesushaus ein. Ach, dachte ich, ich könnte doch eigentlich mal für eine innere Veränderung beten. Und so schloss ich die Augen und betete, dass Gott mich innerlich verändern möge.

Ich hatte die Worte kaum ausgesprochen, als mir ein Gedanke klar und deutlich ein Gedanke in den Kopf schoss: Bist du denn auch bereit den Preis dafür zu bezahlen? Augenblicklich fiel mir die ganze Begebenheit im Jesushaus wieder ein. Das Schweigen, als der Prediger fast die gleiche Frage gestellt hatte. Etwas verlegen fragte ich zurück: "Und was wäre der Preis?" Die Antwort kam prompt: Leiden!

Für einen Moment saß ich mit geschlossen Augen auf meiner Decke und dachte nach. Im Gespräch mit Gott sollte man seine Worte wägen, wenn es um solche Dinge geht. Schließlich sagte ich: "Ja, ich bin einverstanden! Ich bin bereit den Preis zu bezahlen!"

Im nächsten Moment sah ich mich vor meinem inneren Auge eine Bank betreten, an einen Schalter gehen und dort Geld in Empfang nehmen. Diese "Einspielung" mochte vielleicht fünf Sekunden gedauert haben, bevor sie abrupt stoppte und wieder in ein gleichförmiges Schwarz überging. Ich öffnete meine Augen und dachte: Seltsam!

*

Einige Tage später hatte ich meinen Kurzurlaub bei Hubert beendet und befand mich im Zug nach Bremen. Denn dort sollte ich gemäß der Bibelschule die nächsten 15 Monate zubringen. Erst 3 Monate ein Gemeindepraktikum in der dortigen Pfingstgemeinde ableisten, und dann noch einmal ein Jahr im dortigen christlichen Sozialwerk mitarbeiten.

Schon einige Minuten vor dem Einlaufen in den Hauptbahnhof hielt ich es nicht mehr auf meinem Sitz auf, Ich schnappte mir meinen Koffer und ging bis zur nächsten Zugtüre vor. Was würde mich hier in dieser Stadt erwarten? Neugierig forschend blickte ich auf die vorbeirauschenden Häuserfassaden.

Der erste Eindruck war nicht schlecht, aber auch wenig aufschlussreich. Nichts was mich jetzt direkt für oder gegen die Stadt eingenommen hätte. Der Zug begann nun seine Fahrt zu verlangsamen, ich konnte nun auch kurz in eine Straße hinein blicken. Eine junge Frau mit einem Kind an der Hand ging auf einem Bürgersteig. Dann hörte ich die Durchsage: "Nächster Halt ... Bremen Hauptbahnhof!"

Als ich wenig später  Bremer Boden betrat ahnte ich nicht, dass ich erst neun Jahre später wieder die Stadt verlassen würde. Mit einem Koffer und Erfahrungen im Gepäck, die mein Leben für immer verändern sollten.

*

Eine halbe Stunde nach Ankunft in Bremen hatte ich die Gemeinde erreicht und schellte wie telefonisch verabredet beim Hausmeister. Der führte mich dann auch gleich ohne viel Federlesens durch das Gebäude hinauf in den vierten Stock. Dort gelangten wir auf einen außen im Freien liegenden Gang mit mehreren Türen. Gleich die erste öffnete er: "So, das wird für die nächste Zeit deine Unterkunft sein. Eigentlich sind das Gemeinderäume, aber im Moment ist ja Ferienzeit."

Die Wohnung war durchaus geräumig, aber der Hauptraum war voll mit Spielsachen. "Das ist eigentlich der Raum, wo sich die Sonntagsschule sich trifft. Aber wie gesagt, es sind Ferien. Am besten du räumst die Spielsachen einfach in eine Ecke." Es gab noch einen kleinen Raum mit zwei Betten drin "Hier schlafen normalerweise die Gastprediger" und einen Fernsehraum "Hier trifft sich normalerweise ein Gebetskreis"

Nachdem er mir alles gezeigt und erklärt hatte, übergab er mir den Schlüssel und sagte: "Also, du kannst hier alles benutzen. Fühl dich wie zuhause. Ansonsten sehen wir uns ja morgen früh im Gottesdienst!“ Er war schon fast an der Türe, als er sich noch einmal umdrehte:“ Ach, da fällt mir noch etwas ein. Du sollst den Joachim anrufen. Der leitet morgen die Versammlung.“ Er kramte in seiner Hosentasche und reichte mir einen Zettel mit einer Telefonnummer.

"Joachim K.?", fragte ich, "ich dachte Werner G. ist der Pastor hier!?" „Ja, schon," antwortete er, "aber der ist im Moment auf Dienstreise und kommt erst am Mittwoch zurück. Joachim ist Ältester der Gemeinde und vertritt ihn morgen."

 

Als ich wenig später alleine in der Wohnung war, legte ich mich erst einmal im Fernsehraum auf die Couch. Gut, dachte ich, das Abenteuer hat begonnen. Mal sehen, was mich hier noch so erwarten wird.

Ich hatte ein Fenster geöffnet und wunderte mich über seltsame Geräusche, die aus einiger Entfernung herüber schallten. Ein Stadtfest? Eine Kirmes? fragte ich mich. Auf jeden Fall schienen sie von der anderen Weserseite herzurühren.

Als ich wenig später das Fernsehen einschaltete, löste sich das Rätsel auf. Bremen war deutscher Fußballmeister geworden und der Mannschaft und dem Trainer wurden auf dem Marktplatz vor dem Rathaus zugejubelt. Fasziniert verfolgte ich eine Weile das Geschehen am Bildschirm. Eine Stadt im Ausnahmezustand!

Ich überlegte kurz, ob ich vielleicht einen Spaziergang rüber in die Innenstadt machen sollte. Aber verwarf den Gedanken gleich wieder. Erstens war ich kein Freund von solch einem Trubel. Außerdem würde der nächste Tag möglicherweise recht anstrengend werden. Ich schaltete das Fernsehen aus und begann etwas in der Bibel zu lesen.

 *

Am nächsten Morgen betrat ich recht zeitig den Versammlungsraum der Gemeinde. Er war ziemlich groß geraten und mochte vielleicht 400 - 500 Menschen fassen. Einige Plätze waren auch schon besetzt. Vorne auf der Bühne mit einer Kanzel und einem Kreuz im Hintergrund stand ein vielleicht 35 jähriger Mann im Anzug, der einige Papiere zu ordnen schien. Als ich die Stufen zur Bühne hochstieg, blickte er auf sah mich fragend an.

"Hallo", sagte ich, als ich ihn erreicht hatte. "Ich bin der neue Bibelschulpraktikant!" Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. "Ah, schön", sagte er. "Ich hatte eigentlich gestern deinen Anruf erwartet. Ich bin übrigens der Joachim." Er reichte mir seine Hand.

"Heiner", entgegnete ich, seine Hand schüttelnd. "Ja, ich weiß. Der Hausmeister hatte mir deine Telefonnummer gegeben. Aber irgendwie war ich doch etwas müde. Dafür bin ich heute morgen etwas früher gekommen." "Und gleich im Pastorenlook", entgegnete er, auf meinen etwas zu großen Anzug anspielend.

Wir einigten uns darauf, dass ich mich in die erste Reihe setzen sollte und er mich dann später während des Gottesdienstes nach vorne auf die Bühne rufen würde: "Die Gemeinde will schließlich wissen, wer der Neue von der Bibelschule ist!"

 

Zwar hatte ich mir etwas zurecht gelegt, aber als mich Joachim dann während des Gottesdienstes nach vorne bat, um ein bisschen von mir zu erzählen, war ich doch etwas nervös. Andererseits war dies ja nun auch keine neue Situation für mich.

Die Sitze im Saal waren vollständig gefüllt und ich blickte in viele erwartungsvolle Gesichter. Wer ist der neue Bibelschulpraktikant? war darin zu lesen. Also stellte ich mich kurz vor und nahm dann auf die "Meisterfeier" am Vortage Bezug: "Als ich gestern im Fernsehen sah, wie Werder Bremen auf dem Rathausvorplatz von Tausenden frenetisch gefeiert wurde, dachte ich, dass sollten die Christen dort auch einmal bezüglich Jesus tun. Und ich sage, dass wird auch eines Tages dort geschehen! Hallelujah"

Im Saal gab es auch einige vereinzelte Hallelujahs und verhaltenen Applaus. Da hatte sich der Neue ja ziemlich weit das Fenster rausgelehnt. Und ich muss zugeben, dass ich mich später einige Male gefragt habe, ob ich da nicht den Mund etwas zu voll genommen hatte. Tatsache aber ist, dass auf eben jenem Platz einige Jahre später eine riesige christliche Lobpreisveranstaltung stattgefunden hat.

Nach meiner etwa zehnminütigen Rede setzte ich mich unter Beifall wieder auf meinen Platz und spürte, wie jemand mir auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um, und blickte in das Gesicht eines freundlichen jungen Mannes etwa meinen Alters. Er streckte den Daumen hoch und sagte anerkennend: "Na, endlich mal jemand, der hier frischen Wind reinbringt!"

 

So verlief dieser erste Auftritt in der Gemeinde also recht gut. Als ich mich nach dem Gottesdienst auf den Ausgang zubewegte, trat mir ein Mann mittleren Alters (ca 35 Jahre) in den Weg. "Hallo", sagte er, "ich heiße Walter Mundt und bin der Jugendpastor der Gemeinde. Herzlich willkommen!"

Der Mann war mir auf Anhieb sehr sympathisch und dies schien auch auf Gegenseitigkeit zu beruhen: "Ach noch etwas", sagte er zum Schluss unseres kurzen Gesprächs, "ich vertrete den Werner (Hauptpastor) in der Zeit seiner Zeit seiner Abwesenheit. Wenn also etwas sein sollte, ruf einfach an. Die Nummer findest du im Gemeindeinfoblatt!" Wie hätte ich ahnen sollen, dass ich von diesem Angebot schneller als gedacht Gebrauch machen würde.

 *

Am nächsten Morgen trat ich offiziell mein Gemeindepraktikum an. Da Pastor G. erst 2 Tage später von seiner Dienstreise zurückkehren würde, versuchte ich mich im Gemeindebüro etwas nützlich zu machen.

Als ich von der Mittagspause zurück ins Büro kam, sagte die Gemeindesekretärin: "Könntest du nachher mal bei Schwester Edermann vorbeischauen. Sie wohnt am Ende des Ganges und braucht wohl Hilfe. Sie ist gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden."

Froh über die Abwechslung machte ich sogleich auf den Weg und stand wenig später vor ihrer Haustüre. Es dauerte nach dem Schellen eine Weile, bis ich innen Schritte hörte und dann eine Stimme von innen fragte: "Wer ist da?" "Ja, der Bibelschulpraktikant!" Ich hörte wie die Kette gelöst wurde und dann öffnete sich die Türe. Eine ungefähr 75 jährige Frau mit schlohweißen Haaren und einem Augenverband stand vor mir.

"Ja, kommen Sie rein! Ich habe sie schon erwartet." Und damit drehte sie sich um und ging langsam am Stock ins Innere der Wohnung hinein. Ich folgte ihr. "Nehmen Sie Platz", sagte sie, als wir im Wohnzimmer angelangt waren. "Sie müssen entschuldigen, aber ich muss den Augenverband tragen. Ich habe gerade eine Augenoperation hinter mir. Grauer Star, wissen Sie."

Gehorsam nahm ich am Tisch Platz. "Möchten Sie etwas trinken?", fragte sie. "Nein danke", entgegnete ich, "machen Sie sich keine Umstände. Frau Edermann, man sagte mir im Büro, Sie bräuchten Hilfe. Wie kann ich Ihnen helfen?"

"Ach, junger Mann", sagte sie, ich habe kein Geld mehr im Hause. Könnten Sie mich zur Bank begleiten?" Einen Moment war ich sprachlos. Das kann doch nicht ihr Ernst sein, dachte ich. "Blind" und gehbehindert, und sie will jetzt zur Bank? "Schwester Edermann, sagte ich, wollen Sie sich das wirklich antun? In Ihrem jetzigen Zustand jetzt nach draußen gehen? Wissen Sie was, erteilen Sie mir eine Bankvollmacht. Dann fahre ich alleine und Sie ersparen sich die Strapazen."


Es dauerte noch eine ganze Weile bis ich Schwester Edermann überzeugt hatte, mir die Bankvollmacht auszuhändigen. "Aber ich kenne Sie doch gar nicht!" war ihr wiederholtes Argument. Schließlich aber sah sie ein, das in ihrem Zustand eine Fahrt in die Stadt mit der Straßenbahn sehr beschwerlich werden würde und dass ich ja immerhin ein der Gemeinde bekannter "Bibelschüler" war. Also jemand, der sie wohl kaum betrügen oder beklauen würde.

"Wie viel Geld soll ich denn abholen, Schwester Edermann?", fragte ich sie nun. "Ich hatte an 1000 DM gedacht, war ihre prompte Antwort. "So viel?", fragte ich überrascht nach. "Ja nun", sagte sie, ich muss die Miete ja bezahlen und Essen und Trinken muss ich ja auch."

Vermutlich wollte sie einfach etwas Bares in der Wohnung haben, aber das ging mich ja auch nichts an. "Gut, Schwester Edermann, dann fahr ich jetzt mal los." Ich war schon fast an der Türe, als sie mir nachrief: "Warten Sie mal, Herr v.B! Mir ist noch etwas eingefallen." Ich blieb stehen, während sie langsam auf ihren Gehstock gestützt herankam

"Könnten Sie mir auf dem Rückweg aus dem Supermarkt noch eine Packung Frischmilch mitbringen?", fragte sie. "Klar", sagte ich, "Kein Problem!" "Und passen Sie um Himmels willen gut auf das Geld auf. Hier sind viele Diebe unterwegs!" Ich lächelte und sagte beschwichtigend: "Schwester Edermann, machen Sie sich da mal keine Sorgen. Ihr Geld ist bei mir in sicheren Händen. Das wird mir nicht wegkommen."

Mit diesen Worten öffnete ich die Türe und sagte: "Also dann bis später!" "Ja", sagte sie, " passen Sie bloß auf das Geld auf. Das ist hier eine ganz unsichere Gegend." Schmunzelnd über soviel "weltfremde" Besorgnis ging ich durch die Türe und zog sie hinter mir zu.

 *

Schwester Edermann hatte mir ein kleines Geldtäschchen mit einem Reißverschluss mitgegeben und gesagt: "Am besten tun Sie das Geld hierein!" Ich hatte erst einmal meinen Personalausweis und die Bankvollmacht dort hineingepackt und war dann in die nächste Straßenbahn gestiegen.

"Sie müssen an der Domsheide aussteigen", hatte sie gesagt. "Dort ist dann auch die Bank. Die finden Sie schon!" Und so war es dann auch. Eine halbe Stunde später saß ich schon wieder in der Straßenbahn, das Geldtäschchen mit den abgehobenen 1000 DM auf dem Schoß.


Ich war nur noch wenige Meter von der Gemeinde entfernt, als mir auf einmal einfiel, dass ich Schwester Edermann ja eine Tüte Milch mitbringen sollte. Ich stoppte und schaute mich um. Weit und breit kein Supermarkt. Mist! dachte ich und machte mich auf die Suche. Ich hatte Glück! Zwei Querstrassen weiter fand ich einen.

Ich kaufte im Supermarkt die Tüte Milch für Schwester Edermann und noch ein paar Kleinigkeiten für mich selber. Die Geldtasche hatte ich in den Einkaufswagen gelegt und näherte mich langsam den beiden Kassen. Leider hatten sich an beiden offenen Kassen Warteschlangen gebildet. Pech, dachte ich und stellte mich an einer an.

Was macht man, wenn man warten muss? Man deckt nach, träumt vor sich, schaut sich um und hofft, dass man endlich dran kommt. Als ich endlich das Band erreicht hatte, packte ich die eingekauften Sachen darauf, schob den Einkaufswagen etwas weiter und packte die Sachen nach dem Verbuchen wieder darein. Ich zückte meine Geldbörse, bezahlte und schob dann den Wagen in die Nähe des Eingangs. Dort packte ich die eingekauften Sachen in eine ebenfalls gekaufte Plastiktüte und schob anschließend den Einkaufswagen wieder in den Reihe der anderen Wagen. Dann verließ ich den Supermarkt.

Ich mochte vielleicht 10 Meter gegangen sein, als ich wie vom Donnerschlag gerührt stehen blieb. Ein Gedanke hatte mich durchzuckt, der direkt ins Mark wanderte: Die Geldtasche! Es ist seltsam, dass man in solchen Momenten die Ruhe selbst wird. Ich drehte mich um und betrat wieder den Supermarkt.

 

Fünf Minuten später war es zur Gewissheit geworden: Die Geldtasche samt Frau Edermanns 1000 DM und meinem Personalausweis war verschwunden. Sie lag weder im zuvor benutzten Einkaufswagen, noch hatte sie jemand im Laden beim Personal abgegeben.

Fieberhaft versuchte ich mich zu erinnern. Wann hatte ich die Geldtasche das letzte Mal gesehen? Ich konnte mich gut erinnern, dass ich sie in den Einkaufswagen gelegt hatte. Aber als ich die Waren aus dem Korb nahm und in die Einkaufstüte packte, lag da das Täschchen noch im Wagen? Vermutlich nicht, denn ich hätte sie wohl kaum darin liegen lassen.

Es blieb eigentlich nur eine Erklärung: Sie musste während des Einkaufens oder an der Kasse aus dem Einkaufswagen entwendet worden sein. Was für ein Schock! Siedendheiß fielen mir ihre Worte wieder ein: "Aber passen Sie bloß gut auf. Hier sind viele Diebe unterwegs ...!" Was sollte ich jetzt machen? Ihr unter die Augen treten jedenfalls nicht! Und so machte ich mich erst mal in Richtung eigener Wohnung auf den Weg.

                                        *

Zuhause angekommen, setzte ich erst einmal auf das komfortable Ledersofa. Einfach abtauchen und vergessen! Aber die drängenden Gedanken in meinem Kopf gaben keine Ruhe: Was soll ich jetzt machen. Die alte Edermann trifft vielleicht der Schlag, wenn ich ihr die Sache beichte...

Plötzlich fiel ihr wieder der Morgen bei Hubert ein. Meine Gebetszeit in seinem garten , wo ich Gott um innere Veränderung gebeten hatte. Mir stockte der Atem: Moment mal!? Ich hatte nach dem Preis für eine solche Veränderung gefragt ... Die Antwort lautete Leiden! ... und dann der Film in meinem Kopf. Ich sah mich in eine Bank gehen und Geld abheben ... !

Mit einem Mal ging mir ein Kronleuchter, als ob jemand in einem dunklen Saal den Lichtschalter betätigt hätte. Binnen weniger Sekunden ergaben alle unverständlichen "Puzzleteile" ein vollständiges Bild. Na klar, ich habe um innere Veränderung gebeten und Gott hat mir in dem Film gezeigt, was nun 4 Tage später geschehen war. Dann war das also von Gott geplant gewesen!

 

Unruhig ging ich im Zimmer auf und ab. Das veränderte alles! Dem Willen Gottes konnte niemand ausweichen. Auch ich dem Raub der 1000 DM nicht. Ich schaltete den Fernseher ein, um mich abzulenken.

Auf der Mattscheibe erschienen zwei junge Männer, die sich offensichtlich stritten. Typische Vorabendserie! "Ja", sagte der eine," ich weiß auch nicht, wie das passieren könnte. Aber die 1000 DM sind nun mal weg. Geklaut, was weiß ich ... !" Ungläubig starrte ich auf den Bildschirm. Begann ich gerade verrückt zu werden, oder waren die Worte wirklich gefallen. Tatsächlich, es ging um 1000 DM, die jemandem gestohlen worden waren.

Für mich war mit einem Mal klar, dass dies alles kein Zufall gewesen war. Es hatte so geschehen sollen. Auch wenn mich diese Erkenntnis jetzt etwas erleichterte, so war damit das Problem noch nicht aus der Welt geschafft. Wie sollte ich die Sache der alten Frau Edermann beibringen. Mir fielen plötzlich wieder die Worte vom Zweitpastor Walter M. ein: "Wenn was ist, ruf mich einfach an!" So suchte ich nun seine Nummer aus dem Gemeindeinfo heraus und wählte sie. Kurz darauf meldete er sich. "Du, Walter", sagte ich, "mir ist da eine dumme Sache passiert!"

Walter M. hörte sich meine in Kurzform erzählte Geschichte an und sagte dann nur: "Okay, das Kind ist jetzt in den Brunnen gefallen. Aber es hilft nichts, du musst es Schwester Edermann so schnell wie möglich sagen!" Ich schluckte und sagte dann: "Ja, ich weiß!" "Die wird dir schon nicht den Kopf abreißen", ermutigte er mich. "Und weißt du was, was hältst du davon, wenn wir heute Abend bei mir Pizza essen. Dann können wir über die ganze Sache noch einmal in Ruhe reden." "Einverstanden", sagte ich, dann also bis heute Abend!"

 

Ich legte auf und machte mich kurz darauf schweren Herzens auf den Weg zu Schwester Edermann.

Zu meiner großen Überraschung reagierte sie völlig anders als erwartet. Nachdem sie mich hereingelassen und ins Wohnzimmer geleitet hatte, sagte ich zu ihr: "Frau Edermann, am besten wir setzen uns erst mal an den Tisch." Und als wir uns gesetzt hatten sagte ich: "Ich muss Ihnen etwas mitteilen, was Ihnen nicht gefallen wird. Ihre 1000 DM sind mir gestohlen worden."

"Mein Gott! Hab ich`s doch geahnt", rief sie aus. "Und ich hatte Ihnen doch noch gesagt, dass sie hier in der Gegend aufpassen müssen!" "Ja, stimmt" entgegnete ich. "Aber es ist jetzt nun mal passiert und nicht mehr zu ändern. Es tut mir leid!"

 

Ich hatte nun ein großes Zeter und Mordio mit schweren Vorwürfen erwartet, aber sie sagte nur ganz ruhig: "Das Geld müssen Sie mir aber ersetzen!" "Ja, klar", entgegnete ich. "Das ist ja selbstverständlich. Allerdings geht dies nur in Raten. Wären Sie mit monatlich 100 DM einverstanden?" Sie war einverstanden!

Als ich wenig später ihre Wohnung wieder verließ, war ich erleichtert. Das ist ja noch einigermaßen glimpflich abgelaufen, dachte ich. Und die 100 DM monatlich würden wohl zu verschmerzen sein.

 *

Wenig später machte ich mich auf den Weg zum Hause von Walter M., des Zweitpastors der Gemeinde. Er wohnte in einer sogenannten "besseren Wohngegend" und empfing mich recht herzlich. "Meine Frau ist mit meinen beiden Kindern auf einem Seminar", sagte er. So können wir uns einen Männerabend machen."

Erst gab es die versprochene Pizza und dann setzten wir uns bei einem Glas Wein in das sehr schön eingerichtete Wohnzimmer. "Ja", sagte Walter, der vielleicht 5Jahre älter als ich sein mochte, "das ist ja eine seltsame Geschichte, die dir da passiert ist. Wie ist das denn genau passiert?"

Und so erzählte ich ihm die ganze Geschichte noch einmal ganz ausführlich, angefangen von der Predigt im Jesushaus, meinem Gebet mit der Bitte um eine innere Veränderung, der Antwort Leiden und der kurzen Filmsequenz, in der ich mich in eine Bank gehen sah. "Du siehst also“, schloss ich schließlich meinen Bericht, "der Geldraub war kein blinder Zufall, sondern ein mir zuvor von Gott angekündigtes Ereignis. Und muss im Zusammenhang mit meiner Bitte um eine innere Veränderung zu verstehen sein." Ich schaute ihn erwartungsvoll an.

Er rieb sich nachdenklich das Kinn und sagte dann: "In der Tat, so sieht es aus! Allerdings, da steckt natürlich auch noch eine Botschaft mit drin." Ich schaute ihn erstaunt an: "Und die wäre? ""Nun ja", sagte er, "vielleicht die: Wie gehe ich mit Anvertrautem um?" "Aber wenn es doch geschehen sollte?" beharrte ich. "Wer kann verhindern, was Gott sich vorgenommen hat?“ "Trotzdem", entgegnete er, "letztlich war der Raub nur möglich, weil du zumindest einen Moment lang unachtsam warst."

Nun, da hatte er natürlich recht. Eine gewisse Leichtfertigkeit war nicht von der Hand zu weisen. Andererseits fand ich meine Ansicht aber schwerwiegender. Ich entschied aber, das nicht auszudiskutieren. Denn ganz offensichtlich meinte Walter es gut mit mir. Als wir uns einige Zeit später verabschiedeten, hatte ich das Gefühl, den Abend mit einem sehr verständnisvollen Menschen verbracht zu haben.

 *

Der Abend bei Walter, dem Zweitpastor der Gemeinde, hatte mir gut getan. Vielleicht sah ich deshalb auch dem Gespräch mit W., dem Hauptpastor der Gemeinde, gelassener entgegen, als er zwei Tage später von seiner Dienstreise zurückkam.

Nachdem wir uns gegenseitig kurz vorgestellt hatten, kam er gleich zur Sache: "Was ist das denn für eine komische Geschichte, die mir da zur Ohren gekommen ist. Dir sind 1000 DM von Schwester Edermann abhanden gekommen?" "Ja", entgegnete ich, "das ist leider wahr! Aber es sollte wohl so sein!" Verblüfft schaute er mich an: "Wie meinst du das?"

Und nun erzählte ich ihm die ganze Geschichte in Kurzform, auch das mit der Vorankündigung im Gebet. Als ich geendet hatte, blickte er mich ernst an: "Vorgeschichte hin, Vorgeschichte her! Wir wollen doch mal festhalten, dass dir da eine schlimme Sache passiert ist, für die du ganz alleine die Verantwortung trägst. Und du wirst die Suppe auch ganz alleine auslöffeln müssen, die du dir da eingebrockt hast. Wahrlich kein guter Start deines Praktikums!"

Nun hatte ich nicht unbedingt erwartet, dass er begeistert sein würde. Aber diese schroffe Maßregelung schmeckte mir nicht. Ein bisschen mehr Verständnis hatte ich schon erwartet. Aber ich entgegnete nur: "Selbstverständlich werde ich das Geld in Raten Schwester Edermann ersetzen. Das ist mit ihr schon geklärt!" "Gut", entgegnete er, "dann können wir ja mal kurz über dein Praktikum sprechen."

 

Dem verpatzten Auftakt folgten mühevolle und schwierige Zeiten, die aber auch sehr ereignisreich waren. Es wurden insgesamt 9 lange Jahre statt der vorgesehenen 15 Monate. Jahre, die mich nachhaltig innerlich verändern sollten. Und alles hatte vermutlich in Huberts Garten in St.Tönis begonnen.

 

Ende

 

 

 

 

 

 

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